Musik

Das kirchenmusikalische Angebot ist ein besonderer Schwerpunkt in der Evangelischen Kirchengemeinde Ehrenfeld. So hat unser Kirchenmusiker Joachim Diessner die Versöhnungskirche zu einem weit über die Grenzen Ehrenfelds bekannten Veranstaltungsort musikalischer Darbietungen gemacht. Für unseren Kirchenmusiker Alain Gehring ist die Orgelmusik Mittelpunkt seiner Arbeit an der Friedenskirche. Er ist vor allem für seine kunstvollen Improvisationen bekannt, die regelmäßig in Gottesdiensten, Konzerten oder Orgelmeditationen zu hören sind.

Weitere Informationen rund um die Kirchenmusik erhalten Sie bei unseren beiden Kirchenmusikern Joachim Diessner und Alain Gehring.

 


Die Willi-Peter-Orgel der Friedenskirche (gebaut 1955)

Hörprobe: Alain Gehring spielt auf der sanierten Orgel in der Friedenskirche im Januar 2019

 

Die Orgel – Königin der Instrumente

»Die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren der König aller Instrumente«, schrieb Mozart 1777 an seinen Vater. Sicherlich sind es die reichen klanglichen Möglichkeiten, die technisch-handwerkliche Konstruktion und die vielfältigen Erscheinungsformen einer Orgel, die Mozart zu diesem Urteil bewogen haben dürften. Seit 2017 sind Orgelmusik und Orgelbau von der UNESCO als »Immaterielles Kulturerbe der Menschheit« offiziell anerkannt. »Die Pflege der Orgelkultur ist eine transkulturelle Kulturform mit hoher Kunstfertigkeit, die in Deutschland eine wichtige Basis hat und in äußerst lebendiger Weise weitergegeben wird«, heißt es im Antrag bei der UNESCO. Kein Wunder: Mit etwa 50.000 Orgeln hat Deutschland die höchste Orgeldichte der Welt und jeden Sonntag kann man in den meisten Kirchen handgemachte, kostenlose Live-Musik von ausgebildeten Musikern hören. Welche Organisation bietet das sonst noch?
Daraus entsteht für alle Gemeinden die selbstverständliche Verpflichtung, sich mit diesem bedeutenden Instrument und seiner Tradition auseinanderzusetzen, um sie zu erhalten und zu pflegen.
Bereits in der Antike gab es orgelartige Instrumente wie die Wasserorgel oder »Hydraulis«, die im gesamten Römischen Reich weit verbreitet war: Sie kam bei festlichen Veranstaltungen, wie z. B. Gladiatorenkämpfen zum Einsatz. Der für einen stabilen Klang notwendige gleichmäßige Luftdruck in den Pfeifen wurde damals durch Wasser gewährleistet.
Kennzeichen einer Orgel sind also bis heute – einfach gesagt – Pfeifen und Luft. Elektronische Orgeln, die ohne diese beiden Elemente auskommen, sind also keine Orgeln im eigentlichen Sinne. Leider gehen heute immer mehr Gemeinden dazu über, solche elektronischen Instrumente ohne Pfeifen für ihre Kirchen zu kaufen. Trotz der ohne Frage bemerkenswerten Entwicklungen des digitalen Zeitalters klingen diese mehr oder weniger nach Plastik. Das feine Spielgefühl, dass man als Organist braucht, um den Klang einer Pfeifenorgel zum Leben zu erwecken, geht mit solchen Instrumenten gänzlich verloren. Elektronische »Orgeln« imitieren den Klang einer Pfeifenorgel nur – ohne ihn je zu erreichen. Dann doch lieber ein Original! Selbst eine kleine, gute Pfeifenorgel klingt, wenn sie gut an den Raum angepasst ist, besser als jedes elektronische Instrument. Eine solche Anpassung an den Raum ist sehr wichtig und wird in der Regel mit erfahrenen Experten (Orgelsachverständige, Orgelbauer) abgestimmt. Ein einfaches Beispiel: Man muss bei einer Orgel alle Register gleichzeitig ziehen dürfen, ohne dass es für die Gemeinde zu laut oder zu aufdringlich klingt. Hier ist besonders die hohe Kunst der Orgelbauer gefragt: Sie intonieren die einzelnen Pfeifen so, dass sie angenehm klingen und ein gewünschtes Klangbild erzielt wird. Eine gute Ausbildung, viel handwerkliches Können, langjährige Erfahrung und ein sensibles Ohr braucht man in diesem Beruf, damit eine Orgel Zierde und Glanz der Kirche wird.
Jede Orgel ist ein individuelles, lebendiges Kunstwerk, das in allen Teilen handwerklich geschaffen ist. Auch deshalb scheinen Pfeifenorgeln auf den ersten Blick teuer. Aber wenn man Planung, Arbeitsstunden, handwerkliches Können, Materialkosten usw. bedenkt, die für das Entstehen einer Orgel nötig sind, dann ist ein solcher Preis für ein Instrument mit langer Haltbarkeit völlig angemessen. Viele Orgeln existieren nun schon seit Jahrhunderten und legen bis heute Zeugnis für das große Können ihrer Erbauer ab: Man denke nur an die Instrumente Silbermanns oder die wunderbare Trost-Orgel in der Schlosskirche Altenburg (Thüringen), auf der schon Bach gespielt hat. Ich selbst habe vor einigen Jahren auf einer Orgel in Ostönnen (Soest) gespielt, deren Pfeifen zum Großteil aus der Zeit der Spätgotik, also vor 1500, stammen und aus reinem Blei bestehen. Voraussetzung für den Erhalt solch alter Orgeln sind also intensive Pflege und umsichtige Restaurierung, um das historisch gewachsene Original bestmöglich zu erhalten.

Alain Gehring

 


Orgel und Kirchenmusik im Gottesdienst

(Fortsetzung)

Unsere Orgel in der Friedenskirche ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Sanierung: Die Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke hat das gesamte Instrument gereinigt, technisch und klanglich durchgreifend überarbeitet, repariert und abgesichert. Ein neues Register (Sesquialtera) wurde erstellt. Drei neue Subkoppeln verleihen unserer Orgel nun einen wunderbar fülligen Gesamtklang. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: Vor der Sanierung habe ich das tiefe Pedal-Register „Lieblich Posaune 16’“ so gut wie nie benutzt, weil es – Verzeihung! – wie ein Furz klang, der alle anderen Register im Pedal völlig übertönt hat. Nach der Intonation durch die Orgelbauer klingt es jetzt so, wie ein Posaune-Register klingen soll: Gravitätisch und generös, aber dennoch klar zeichnend, präzise, ausgeglichen und abgerundet. Der Sachverständige des Landeskirchenamts sagte: „Die Gemeinde hat ein fantastisches Instrument zurück erhalten. Am liebsten hätte ich es mitgenommen.“
Ich selbst bin sehr glücklich mit unserer Orgel und fühle mich mit ihr so wohl wie ein Fisch im Wasser. Beim Spiel versuche ich immer die vielfältigen Möglichkeiten des Instruments zum Klingen zu bringen. Dabei ist mir nicht nur der Gemeindegesang, sondern insbesondere das Vorspiel wichtig. Besonders hier zeigen sich Fantasie und Kunst des Organisten. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, ein Vorspiel zu einem Kirchenlied zu gestalten. Es gilt, die Gemeinde musikalisch auf den theologischen Gehalt eines jeden Liedes als Teil der Verkündigung einzustimmen. Deshalb gestalte ich ein Vorspiel zu „O Haupt voll Blut und Wunden“ natürlich anders als zu „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Ein wichtiger Punkt ist hier zuallererst die Registrierung: Vor jedem Lied überlege ich mir genau, welche Klangfarben zum Vorspiel und zu den Strophen passen könnten. Die Liedtexte, die Situation im Gottesdienst, die Atmosphäre in der Gemeinde u.v.a. müssen beachtet werden. Deshalb nimmt Improvisation für mich einen großen Stellenwert ein: Diese Kunst ist in der heutigen Musik vor allem im Jazz und in der Orgelmusik beheimatet. Beim Gemeindegesang gestalte ich die Begleitung der einzelnen Strophen durch Improvisation immer neu – je nachdem welcher Text gerade gesungen wird. Wenn im Lied „Ein feste Burg“ z. B. die Strophe „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ erklingt, dann muss die Gemeinde das durch die Orgelbegleitung ausdrucksstark erleben können!
Natürlich ist hier Bach für mich das größte, unerreichbare Vorbild. Jedes Wort wird bei ihm mit aller Feinheit zu Musik. Kein Komponist hat sich so fantasievoll, kunstfertig und tief mit Choral und Kirchenlied auseinandergesetzt wie er. Man denke hier nur an das „Orgelbüchlein“, die achtzehn sogenannten „Leipziger Choräle“, den „Dritten Teil der Clavierübung“ („Orgelmesse“) oder die „Canonischen Veränderungen über „Vom Himmel hoch, da komm ich her’“. Zur Ehre Gottes und zur Andacht der Gemeinde hat er nur höchste Qualität gelten lassen und sich deshalb oft mit seinen Vorgesetzten, die ihn nicht verstehen konnten oder wollten, angelegt, denn für ihn war Musik kein schmückendes Beiwerk, sondern Gebet und Heiligtum.
Für jeden Kirchenmusiker und jede Gemeinde ist es daher Pflicht, die musikalische Qualität in Gottesdiensten und Konzerten zu erhalten. Das fängt schon bei der Auswahl der Kirchenlieder an: Damals wie heute gab und gibt es ein reiches Repertoire von Liedern und Chorälen, aber nur ein winziger Teil hat die Jahrhunderte bis heute überlebt – weil dieser sowohl textlich als auch musikalisch von hoher Qualität ist und sich bewährt hat. Man denke hier nur an Lieder wie „Lobe den Herren“, „O Haupt voll Blut und Wunden“ oder „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, das – vor allem wegen der ersten und der letzten Strophe – mein Lieblingslied ist. Viele alte geistliche Lieder haben sich im Laufe der Jahrhunderte verändert: Texte wurden modifiziert oder weggelassen, Melodie und Rhythmus wurden abgerundet und abgeschliffen – wie ein Stein vom Wasser. Schließlich blieb nur die Essenz übrig, die sich als qualitativ hochwertig und gemeindetauglich erwiesen hat. Alles andere fiel dem Urteil der Geschichte zum Opfer. Von neuen Liedern lässt sich das nicht immer sagen, weil ihnen diese Bewährungsprobe im Laufe der Jahrhunderte von Natur aus fehlt. Daher findet man in ihnen leider oft Mangelhaftes. So ist das Tauflied „Vergiss es nie“ weder gemeindetauglich noch qualitativ hochwertig: Der Rhythmus wird von einer Gemeinde selten richtig gesungen und die Qualität des Textes lässt mehr als zu wünschen übrig: „Du bist Du. Das ist der Clou.“ – Schubidu! – Gerade wenn dieses Lied ans getaufte Kind gerichtet ist oder wenn man es allgemein als Kinderlied verstehen möchte, gilt es Kinder auch ernst zu nehmen und nicht für dumm zu verkaufen: Ein Kinderlied sollte einfach, aber nicht dümmlich sein.
Es ist also wichtig, Lieder gut auszuwählen und eine ausgeglichene Mischung zwischen alt und neu, zwischen Tradition und Gegenwart anzustreben, um eine qualitativ hochwertige Vielfalt der Kirchenmusik zu erhalten, die nicht das oberflächlich Seichte, sondern die Tiefe des Herzens sucht. Alte, gewachsene Traditionen unreflektiert über den Haufen zu werfen, ist ebenso unsinnig, wie sie auf Gedeih und Verderb zu erhalten: Was zählt, sind Qualität, Gemeindetauglichkeit – und Orientierung an der Vielfalt der anwesenden Gemeinde. Alles andere ist ideologischer Egozentrismus.
Wenn Kirchenmusik – zum Beispiel in guten Konzerten – Anziehungspunkt für viele Menschen wird, sind wir auf einem guten Weg, den es zu erhalten gilt. Alle Menschen in der Gemeinde, Alte und Junge, Kranke und Gesunde, Zweifelnde und Hoffende, Traurige und Glückliche, die aus vielfältigsten Gründen Gottes Nähe suchen, sollen Gottes Gegenwart durch Musik erleben. Wenn man das ernst nimmt, kann die Qualität der Kirchenmusik gar nicht hoch genug sein. Um es mit Bach zu sagen: „Bei einer andächtigen Musik ist allezeit Gott mit seiner Gnaden Gegenwart.“ – Er hat gewusst, wovon er spricht.

Alain Gehring